Home

Einführende Gedanken

Die vorgeblich größte Herausforderung für Lehrende scheint es zu sein, eine heterogene Schülergruppe zu einer homogenen zu formen. Diese allerdings basiert auf einem Trugschluss, der zu Enttäuschungen führen muss, da sich jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler durch individuelle Erfahrungen, Wissen, Ansprüche, Motivation u.v.m. auszeichnet.

Löst man sich von diesem Gedanken, bietet die Heterogenität viele Vorteile, da nicht die eine richtige Lösung von allen erreicht werden muss, sondern vielmehr verschiedene, auch kreative Lösungen erarbeitet werden können, welche den Horizont zu einem Themenbereich erweitern und die Kenntnisse aller Schülerinnen und Schüler vertiefen. Diese Ideen arbeitet an Beispielen aus dem Englischunterricht Margitta Kuty (2018) mit wissenschaftlichen Untersuchungen differenziert heraus.

Eine Vielzahl an Möglichkeiten werden vorgestellt, die Individualisierung wissenschaftlich in den Blick zu nehmen und im Unterricht zu erproben: inhaltlich, methodisch, organisatorisch oder medial sind dabei nur einige Beispiele. Entscheidend ist die Akzeptanz der Lehrenden die unterschiedlichen Lerntypen auf unterschiedliche Weise anzusprechen und zu motivieren. Die darauf folgende innere Differenzierung im Unterricht kann sehr aufwändig vorbereitet und durchgeführt oder mit kleinen gezielten Eingriffen und Freiräumen für Lerner, aber auch für Lehrende ohne allzu großen Aufwand eingebunden werden. Allein verschiedene Aufgaben zu verteilen ist wenig hilfreich, da auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler konkrete Rückmeldungen benötigen und im sozialen Miteinander nicht allein lernen sollen.

Auch auf diesen Überlegungen fußt diese Informationsseite des „Kooperationsverbunds Hochbegabtenförderung Braunschweig 1“. Aufgrund der gerade für Schülerinnen und Schüler sehr schwierigen Coronakrise seit März 2020 hat sich der Verbund vorgenommen, die im Sinne der Begabungsförderung so wichtige innere Differenzierung in Form von außerschulischen, aber gerade auch innerschulisch integrierten Fördermaßnahmen auf dieser Seite vorzustellen. Viele bekannte und erfolgreiche Wege wie Akzeleration sind durch Hygienepläne zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus seit zwei Jahren nahezu unbegehbar geworden. Diese Entwicklung bietet aber für Lehrende auch die Chance den eigenen gut geplanten Unterricht nach innerer Differenzierung zu durchleuchten.

Dass jede Unterrichtsstunde durch fordernde Aufgaben gerade für begabte Schülerinnen und Schüler motivierend ist, ist allgemeinhin bekannt; auch dass eben dieser gelungene Unterricht die Intelligenz steigern kann, haben Studien nachweisen können (ein Überblick bei Vock 2019). Indem Begabungen entweder schon bekannt sind oder durch differenzierte Aufgabenstellungen bekannt werden (Ziernwald 2020), können Schülerinnen und Schüler ihre besonderen Fähigkeiten zu Talenten etablieren, welche ihnen auch im späteren Arbeitsleben hilfreich sein werden (Differenziertes Begabungs- und Talentmodell von Gagné 2.0 bei Vock 2019). Den großen Wunsch nach Differenzierung belegt auch eine Befragung von Schülerinnen und Schülern, die zu dem Ergebnis kommt, dass sich 90% der starken und 87% der schwächeren Schüler sich differenzierende Maßnahmen im Regelunterricht wünschen (Kavensky 2011: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0016986211422098).

Diese alltäglichen Differenzierungsmaßnahmen sind nicht neu, doch werden sie durch neue Studien in ihrer Wichtigkeit gestärkt. Die Maßnahmen unterscheiden sich teilweise stark, doch führen sie alle zu dem wichtigen Ziel, dass jede Schülerin und jeder Schüler am Abend durch anspruchsvoll fordernde, aber nicht überfordernde Aufgaben einen individuellen Lernfortschritt erreichen kann.

So besagt z.B. der sogenannte „Equalizer“ (nach Tomlinson 2001 in Ziernwald 2020), dass dieselbe Aufgabe von einer Schülerin oder einem Schüler mittels acht verschiedener Aufgabentypen gelöst werden könne, deren Art sich an die Anforderungsbereiche I, II und III anlehne. So können einzelne Lerner beispielsweise im ganz Konkreten arbeiten, während andere eben dieselbe Aufgabe über komplexere Aufgabenmodule mit mehreren Facetten und somit mehrere Disziplinen verbindend erarbeiten; auch die Geschwindigkeit und das individuelle Bedürfnis der Rückmeldungen seitens der Lehrkraft können variiert werden. Drei konkrete Beispiele für das Fach Mathematik finden sich bei Ziernwald 2020.

Die individualisierte Förderung im Sprachenunterricht kann ebenfalls als konkrete Differenzierungsmaßnahme angeführt werden, so seien ein großes Angebot an Input sowie auch das stete Wiederholen auf verschiedene Arten beim Vokabellernen wichtig für den flexiblen Einsatz des fremdsprachlichen Wortschatzes auch über die konkrete Lernphase hinaus (Siepmann 2018). Entscheidend bei einer steten Festigung eines diffenzierten Wortschatzes sei aber eben auch das Bewusstmachen, dass Sprache nicht Mittel zum Zweck sei; so sollte eine Differenzierung auf verschiedenen Schwierigkeitsstufen eben auch z.B. über kulturhistorische Themen durchgeführt werden, um eine eigenständige Quelle der Freude und Erkenntnis zu fördern. (Siepmann 2018).

Konkrete Umsetzungen dieser Art und auch völlig andere differenzierende Exempla, die an den Schulen des Kooperationsbundes durchgeführt worden sind, finden sich auf den Seiten dieser Homepage.

Die Vielfalt all der Beispiele dokumentiert anschaulich und praxisnah, dass eine individualisierende Begabungsförderung in Corona-Zeiten möglich ist.


Quellen:

Kuty, Margitta „Individualisierung im kompetenzorientierten Englischunterricht“ in: Hallet, Wolfgang und Ulrich Krämer „Kompetenzaufgaben im Englischunterricht“; Berlin 2018, 3. Auflage; S. 45-55.

Siepmann, Dirk „Spracherwerb in komplexen Kompetenzaufgaben“ in: Hallet, Wolfgang und Ulrich Krämer „Kompetenzaufgaben im Englischunterricht“; Berlin 2018, 3. Auflage; S. 30-44.

Vock, Miriam und Anne Jurczok „Hochbegabte Kinder erkennen, fördern – Was sagt die Forschung“ in: Rosenboom, Martina „Gesichter von Hochbegabung“; Frankfurt am Main, Berlin 2019; S. 13-46.

Ziernwald, Lisa und Doris Holzberger, Delia Hillmayr und Kristina Reiss „Wissenschaft macht Schule Band 1“: „Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern“ Münster 2020, S. 6-7, 8-12.